24.09.2012

Mallorca, zwei Wochen

Zwei Wochen Mallorca, da denkt der gemeine Mensch doch unwillkürlich: Besoffene Deutsche, besoffene Engländer, besoffene Niederländer und dazwischen strohhalmbestückte Eimer mit seltsamen Gesöffen. Ist aber gar nicht so, wie ich jüngst erleben durfte. Da zeigte sich die verrufene Insel wirklich liebenswert und gar zauberhaft. Natürlich, den „Ballermann“ gibt es immer noch, aber der von mir besuchte Rest der Insel kam wirklich äußerst pittoresk und beschaulich daher.

Meine Neugier treibt mich zum Ballermann nach El Arenal: Ist das wirklich so, wie es im Fernsehen rüberkommt? Ich laufe also die Playa de Palma ab, wie an einer Schnur aufgereiht stehen dort die 15 „Balnearios“, eigentlich ganz normale Strandcafés. Nur die Balnearios 5, 6 und 7 sind fest in deutscher Hand: Der wahre Ballermann. Je näher ich den drei Beachbars komme, desto lauter wird es: Partymucke überall (deutsche Feiermusik, natürlich) und trinkende Menschen zwischen 18-70 Jahren. Ich denke daran, dass meine Eltern auch in dieses Altersraster passen und schäme mich fremd: Dabei saufen meine Eltern gar nicht.

Ich wohnte in dem wirklich als malerisch zu bezeichnenden Ort Santanyi im Südosten der Insel: Wer hier besoffen durch die Gegend gewabert wäre, hätte Blicke des Abscheus geerntet. Schöne Häuser, die sich in Sandsteinoptik hervorragend ergänzen, freundliche Menschen, unauffällige Touristen. Samstag und Mittwoch dann jeweils Markt, wo nicht nur lecker Obst und Gemüse feilgeboten wurde, sondern auch der übliche, unverzichtbare Tand: Ledertaschen- und Gürtel, gefälschte Uhren, Kappen, Schmuck… Hier war feilschen angesagt und wer das nicht knallhart durchzog, zahlte zuviel. Ich zahlte vielzuviel.

Vor mir läuft ein etwas verwitterter Mann zwischen 30-40 Jahren. Er trägt einen auffälligen Hut, der einen riesigen Penis darstellt. Auf der Hutkrempe steht „Pimmolo“. Der Mann wankt über die gut besuchte Promenade und brüllt „FICKEEEEN!!!“ Niemand wundert sich.




Mallorca eignet sich wirklich sehr gut zum Wandern und Radfahren. Bei über 30°C im Schatten ließ ich das Wandern jedoch sein und lieh mir ein Fahrrad bei „Bike total“. Das kostete um die acht Euro pro Tag, das Rad wurde ins Haus geliefert und im Falle einer Panne genügte ein Anruf und der Besitzer namens „Willi“, ein Deutscher, kam sofort vorbei und brachte Ersatz: Toll! Ich hatte zwei Mal durch Dornen verursacht einen Platten – Willi half umgehend. Mit dem Rad war es dann möglich, die vielfältige Umgebung zu erkunden; die hügelige Landschaft war auch für ungeübte Radfahrer zu bewältigen und belohnte Auge, Ohr und Nase mit vielerlei Eindrücken.

Diverse Pavillons, wie wir sie auf Messen oder Partys finden, sind am Strand aufgebaut. Darunter stehen die Damen und die Herren und trinken frischgezapftes Bier aus der Profizapfanlage. Wieder schallt lauteste Partymusik aus riesigen Lautsprechern. An einem Pavillon sind vier DIN-A4 Schilder angebracht, die anscheinend bereits zu Hause gedruckt worden sind; darauf ist der Reihenfolge nach zu lesen:

Melone NEIN!

Massage NEIN!

Brillen NEIN!

Ficken JA!

 
Mit dem Fahrrad war es mir möglich, wirklich schöne Badebuchten zu finden, wo wirklich nur ganz normale Menschen dem Strandvergnügen nachgingen – wer hier Bier trank, fiel auch auf. Zwar haben die Strandbars einen ordentlichen Strandbonus auf die Preise geschlagen, dennoch blieb die Urlaubskasse von richtigen Schocks verschont – wenn man mal von den Taxis absieht, die, für mich recht unverständlich, scheinbar willkürliche Aufschläge auf den normalen Fahrpreis berechneten. Das Wasser präsentierte sich oberflächlich als sehr sauber, nur beim Schnorcheln sah man dann doch die Auswirkungen des Menschen – laut „Mallorca-Magazin“ (oder war es die „Mallorca-Zeitung“?) ist diese Insel der Flecken mit dem gewaltigsten Müllaufkommen der Welt.

Die belebte Promenade gerät in zusätzliche Aktivität: Gereifte Frauen und tiefgebräunte Männer mit mehr oder weniger gereiften Wampen und Goldschmuck ziehen eifrig graue Mülleimer zu einem kleinen LKW mit leerer Ladefläche. Hier stehen schon um die fünfzig Menschen jeglichen Alters und Geschlechts. Sie warten darauf, dass zwei spanische Herren von der Müllabfuhr die angesammelten Mülleimer auf der Ladefläche ausleeren. Als die Männer den Tonneninhalt auf die Ladefläche kippen, kommen Pappen von Sechserträgern und hunderte von Flaschen zum Vorschein. Da wurde anscheinend viel getrunken. Die erwachsenen Menschen feuern die Müllwerker an und jubeln. Sie feiern sich selbst und ihren großen Durst.

Und natürlich: Die beeindruckende Hauptstadt Mallorcas – Palma. Tatsächlich wohnen hier über 400.000 Menschen und die Stadt präsentiert sich reichlich urban - so urban, dass sie an Barcelona erinnert: Quirlig, geschichtsträchtig, architektonisch eine Augenweide. Wer auf Mallorca ist und nicht die Hauptstadt besucht, verpasst wirklich eine tolle Stadt. Zwar sind die Hauptstraßen ganz auf Touristen ausgelegt und dementsprechend von auswärtigen Besuchern bevölkert, die Nebenstraßen und kleinen Gassen geben sich trotz Großstadtflair jedoch nahezu menschenleer. Seltsam nur, dass der Eintritt in die weltberühmte Kathedrale Palmas Eintritt kostet – seit wann kostet Beten Geld? Und was ist, wenn man total pleite ist und deshalb Gottes Beistand erbitten möchte? Wo geht man dann hin? Jedenfalls nicht in die Kathedrale, sondern in eine der anderen imposanten Kirchen Mallorcas.

Die ich auch besuchte und diesen Herren traf, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit noch lebte und von dem gesagt wird, dass ohne ihn die Auflösung des sogenannten „Ostblocks“ nicht möglich gewesen wäre: Hallo Paul 2!

Wie in anderen Touri-Orten auch, so sehe ich auch hier diese kleinen Baseballschläger: Sie sind mit verschiedenen Namen der gängigen Fußballclubs bedruckt und aus stabilem Holz. Am Griff befindet sich eine Schlaufe am Handgelenk. Dieses Ding ist nicht für Baseball gedacht; es ist vielmehr ein feister Knüppel, mit dem der vermeintliche Sportsfreund die 3. Halbzeit einläutet  und damit anderen Fußballfreunden auf den Kopf haut.

Und die Markthalle von Palma bietet alles, was der Mensch braucht: Fisch, Gemüse, Obst, Haushaltswaren, Cafés, Süßwaren, Backwaren; ach – einfach alles. Das für uns hektische Treiben, das für die hier Arbeitenden so normal erscheint: Für mich ein einziges Gewusel aus fremden Gerüchen, spanisch-mallorquinischen-Sprachgewirr und hin und her-eilenden Menschen; dazwischen aber dann wieder Cafés, wo Einheimische seelenruhig Kaffee oder Bier trinken: Gehst Du also zur Hauptstadt, vergiss die Markthalle nicht.

Ich ruhe mich auf einer der Bänke etwas jenseits des suffbeladenen Trubels aus und beobachte einen blonden Mann in einem weinroten Poloshirt, beigefarbener Hose, weißen Socken und weißen Turnschuhen, der in ca. 20 Metern Entfernung agiert. Die rechte Hälfte des Gebisses fehlt anscheinend, was den Mann allerdings nicht zu stören scheint – ist wohl schon längere Zeit so. Der Herr versucht, den Busfahrplan zu studieren – das ist schon nüchtern nicht so ganz einfach, dieser Mensch jedoch kann mindestens zwei Promille sein Eigen nennen. Er versucht, andere Busfahrwillige zu fragen, die jedoch nur mit den Schultern zucken. Dann kommt ein Bus. Die Menschen steigen ein. Nur er nicht. Er darf nicht mit, wird vom Busfahrer nicht mitgenommen, weil er zu betrunken ist. Der Mann beschwert sich – beim Busfahrer, bei anderen Menschen und dann bei sich. Aber der Bus fährt weg. Der Mann lamentiert, aber niemand hört zu. Dann geht der Mann wankend weg. Fünf Minuten später sehe ich ihn wieder; er hat sich ein Bier gekauft, welches er nun trinkt.

Wer aber auf Mallorca wohnen will, hat entweder schlechte Karten (geht also nicht) oder viiieel Geld (alles geht). Selbst augenscheinliche Bruchbuden, die mit Mühe „Finca“ genannt werden könnten, werden für mehrere hunderttausend Euro angeboten. Ein Häuschen am Meer? Nicht unter einer Million. Das ist wahrlich verrückt und eine solch immense Immobilienblase, die über kurz oder lang platzen muss. Nach oben gibt es keine Grenzen und geht nicht, gibt´s nicht. Es ist unfassbar, dieses „Sylt des Südens“. Und auch nicht meine Welt.

An der Bushaltestelle werde ich von einem hageren Deutschen angesprochen – ob ich auch nach Santanyi wolle. Als ich dies bejahe, erzählt er mir, dass seine Freunde ihn gestern im Tran verloren hätten und er deshalb am Ballermann festsäße. Auf meine Frage, ob er am Strand geschlafen oder er sich ein Hotelzimmer genommen hätte, lacht er (mich aus?): „Hier findest Du immer ein Bett…“ Benno Ketten: Ein verklemmter, nichtswissender Spießer?

Meine Welt war eher der Umstand, dass dank des Klimas auf dieser Insel vieles auf lange Zeit erhalten bleibt: Bis zum Schluss zum Beispiel war ich immer wieder begeistert, alte Autos zu sehen, die es bei uns kaum noch gibt: Einen „R4“ zum Beispiel. Und nicht nur einen: Viele! Toll. Da kann jeder gesichtslose Plastikbomber von heute und jeder lächerliche Ferrari einpacken – der R4: Ein Auto von Format.

Ich sehe mir die überdachten Tempel des deutschen Frohsinns an: „Mega-Park“ und „Bierkönig“: Im Mega-Park, der wirklichwirklich sehr groß ist, tanzen im Laden verteilt schnieke Frauen in Reizwäsche und mit roten Hörnern oder Cowboyhüten auf dem Kopf auf den Tischen. Die Damen gehören zum Laden. Unten stehen und sitzen vollstramme Damen und Herren, die lustig alkoholische Getränke konsumieren. Eine Tänzerin appelliert anscheinend an die Säfte eines trunkenen Herren um die 30. Er versucht, den Tisch zu erklimmen, um die Frau anzufassen oder zu stehlen, wird aber von einem nichttrunkenen Sicherheitsmenschen daran gehindert. Der trunkene Mann sieht daraufhin zerknirscht aus, weil er so gerne die Frau angefasst oder mitgenommen hätte. Die Frau tut weiterhin so, als wenn ihr die Tanzerei Spaß machen würde; sie lächelt und versucht, erotisch zu wirken. Manchmal kann man jedoch kurz sehen, dass es ihr keinen Spaß macht; dann  sieht man den einen oder anderen zerplatzten Traum aus ihren Augen schweben. Das sieht das heitere Publikum jedoch nicht. Doch ich sehe es. Die Frau tut mir leid.

Viel gäbe es noch zu berichten, was während dieser zwei Wochen schön, angenehm und  ergreifend war: Das Klima zum Beispiel oder die freundlichen Menschen, die umwerfende Natur oder die beeindruckende und abwechslungsreiche Landschaft. Gottseidank hat sich mein Vorurteil also nicht bestätigt, dass ganz Mallorca ein einziger Ballermann ist.

Meine Ballermann-Beobachtungen entstammen übrigens einem beliebigen Montag zwischen 12-16 Uhr. Ich kann nun aber freimütig sagen, dass Mallorca nicht nur zwischen 12-16 Uhr erheblich mehr zu bieten hat als Stumpfsinn, Suff und dicke Wampen. In diesem Sinne:

Hasta pronto, Mallorca!