Meine Neugier treibt mich zum
Ballermann nach El Arenal: Ist das wirklich so, wie es im Fernsehen rüberkommt?
Ich laufe also die Playa de Palma ab, wie an einer Schnur aufgereiht stehen
dort die 15 „Balnearios“, eigentlich ganz normale Strandcafés. Nur die
Balnearios 5, 6 und 7 sind fest in deutscher Hand: Der wahre Ballermann. Je näher
ich den drei Beachbars komme, desto lauter wird es: Partymucke überall
(deutsche Feiermusik, natürlich) und trinkende Menschen zwischen 18-70 Jahren.
Ich denke daran, dass meine Eltern auch in dieses Altersraster passen und
schäme mich fremd: Dabei saufen meine Eltern gar nicht.
Ich wohnte
in dem wirklich als malerisch zu bezeichnenden Ort Santanyi im Südosten der
Insel: Wer hier besoffen durch die Gegend gewabert wäre, hätte Blicke des
Abscheus geerntet. Schöne Häuser, die sich in Sandsteinoptik hervorragend
ergänzen, freundliche Menschen, unauffällige Touristen. Samstag und Mittwoch
dann jeweils Markt, wo nicht nur lecker Obst und Gemüse feilgeboten wurde,
sondern auch der übliche, unverzichtbare Tand: Ledertaschen- und Gürtel,
gefälschte Uhren, Kappen, Schmuck… Hier war feilschen angesagt und wer das nicht
knallhart durchzog, zahlte zuviel. Ich zahlte vielzuviel.
Vor mir läuft ein etwas verwitterter
Mann zwischen 30-40 Jahren. Er trägt einen auffälligen Hut, der einen riesigen
Penis darstellt. Auf der Hutkrempe steht „Pimmolo“. Der Mann wankt über die gut
besuchte Promenade und brüllt „FICKEEEEN!!!“ Niemand wundert sich.
Mallorca eignet
sich wirklich sehr gut zum Wandern und Radfahren. Bei über 30°C im Schatten
ließ ich das Wandern jedoch sein und lieh mir ein Fahrrad bei „Bike total“. Das
kostete um die acht Euro pro Tag, das Rad wurde ins Haus geliefert und im Falle
einer Panne genügte ein Anruf und der Besitzer namens „Willi“, ein Deutscher,
kam sofort vorbei und brachte Ersatz: Toll! Ich hatte zwei Mal durch Dornen
verursacht einen Platten – Willi half umgehend. Mit dem Rad war es dann
möglich, die vielfältige Umgebung zu erkunden; die hügelige Landschaft war auch
für ungeübte Radfahrer zu bewältigen und belohnte Auge, Ohr und Nase mit
vielerlei Eindrücken.
Diverse Pavillons, wie wir sie auf Messen
oder Partys finden, sind am Strand aufgebaut. Darunter stehen die Damen und die
Herren und trinken frischgezapftes Bier aus der Profizapfanlage. Wieder schallt
lauteste Partymusik aus riesigen Lautsprechern. An einem Pavillon sind vier DIN-A4
Schilder angebracht, die anscheinend bereits zu Hause gedruckt worden sind;
darauf ist der Reihenfolge nach zu lesen:
Melone NEIN!
Massage NEIN!
Brillen NEIN!
Ficken JA!
Mit dem Fahrrad war es mir möglich, wirklich schöne Badebuchten zu finden, wo wirklich nur ganz normale Menschen dem Strandvergnügen nachgingen – wer hier Bier trank, fiel auch auf. Zwar haben die Strandbars einen ordentlichen Strandbonus auf die Preise geschlagen, dennoch blieb die Urlaubskasse von richtigen Schocks verschont – wenn man mal von den Taxis absieht, die, für mich recht unverständlich, scheinbar willkürliche Aufschläge auf den normalen Fahrpreis berechneten. Das Wasser präsentierte sich oberflächlich als sehr sauber, nur beim Schnorcheln sah man dann doch die Auswirkungen des Menschen – laut „Mallorca-Magazin“ (oder war es die „Mallorca-Zeitung“?) ist diese Insel der Flecken mit dem gewaltigsten Müllaufkommen der Welt.
Die belebte Promenade gerät in
zusätzliche Aktivität: Gereifte Frauen und tiefgebräunte Männer mit mehr oder
weniger gereiften Wampen und Goldschmuck ziehen eifrig graue Mülleimer zu einem
kleinen LKW mit leerer Ladefläche. Hier stehen schon um die fünfzig Menschen
jeglichen Alters und Geschlechts. Sie warten darauf, dass zwei spanische Herren
von der Müllabfuhr die angesammelten Mülleimer auf der Ladefläche ausleeren.
Als die Männer den Tonneninhalt auf die Ladefläche kippen, kommen Pappen von
Sechserträgern und hunderte von Flaschen zum Vorschein. Da wurde anscheinend
viel getrunken. Die erwachsenen Menschen feuern die Müllwerker an und jubeln.
Sie feiern sich selbst und ihren großen Durst.
Und
natürlich: Die beeindruckende Hauptstadt Mallorcas – Palma. Tatsächlich wohnen
hier über 400.000 Menschen und die Stadt präsentiert sich reichlich urban - so
urban, dass sie an Barcelona erinnert: Quirlig, geschichtsträchtig,
architektonisch eine Augenweide. Wer auf Mallorca ist und nicht die Hauptstadt
besucht, verpasst wirklich eine tolle Stadt. Zwar sind die Hauptstraßen ganz
auf Touristen ausgelegt und dementsprechend von auswärtigen Besuchern
bevölkert, die Nebenstraßen und kleinen Gassen geben sich trotz Großstadtflair jedoch
nahezu menschenleer. Seltsam nur, dass der Eintritt in die weltberühmte
Kathedrale Palmas Eintritt kostet – seit wann kostet Beten Geld? Und was ist,
wenn man total pleite ist und deshalb Gottes Beistand erbitten möchte? Wo geht man dann
hin? Jedenfalls nicht in die Kathedrale, sondern in eine der anderen imposanten
Kirchen Mallorcas.
Die ich auch
besuchte und diesen Herren traf, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit noch
lebte und von dem gesagt wird, dass ohne ihn die Auflösung des sogenannten „Ostblocks“
nicht möglich gewesen wäre: Hallo Paul 2!
Wie in anderen Touri-Orten auch, so
sehe ich auch hier diese kleinen Baseballschläger: Sie sind mit verschiedenen
Namen der gängigen Fußballclubs bedruckt und aus stabilem Holz. Am Griff
befindet sich eine Schlaufe am Handgelenk. Dieses Ding ist nicht für Baseball
gedacht; es ist vielmehr ein feister Knüppel, mit dem der vermeintliche Sportsfreund
die 3. Halbzeit einläutet und damit
anderen Fußballfreunden auf den Kopf haut.
Und die
Markthalle von Palma bietet alles, was der Mensch braucht: Fisch, Gemüse, Obst,
Haushaltswaren, Cafés, Süßwaren, Backwaren; ach – einfach alles. Das für uns
hektische Treiben, das für die hier Arbeitenden so normal erscheint: Für mich
ein einziges Gewusel aus fremden Gerüchen, spanisch-mallorquinischen-Sprachgewirr
und hin und her-eilenden Menschen; dazwischen aber dann wieder Cafés, wo
Einheimische seelenruhig Kaffee oder Bier trinken: Gehst Du also zur
Hauptstadt, vergiss die Markthalle nicht.
Ich ruhe mich auf einer der Bänke
etwas jenseits des suffbeladenen Trubels aus und beobachte einen blonden Mann
in einem weinroten Poloshirt, beigefarbener Hose, weißen Socken und weißen
Turnschuhen, der in ca. 20 Metern Entfernung agiert. Die rechte Hälfte des
Gebisses fehlt anscheinend, was den Mann allerdings nicht zu stören scheint –
ist wohl schon längere Zeit so. Der Herr versucht, den Busfahrplan zu studieren
– das ist schon nüchtern nicht so ganz einfach, dieser Mensch jedoch kann mindestens
zwei Promille sein Eigen nennen. Er versucht, andere Busfahrwillige zu fragen,
die jedoch nur mit den Schultern zucken. Dann kommt ein Bus. Die Menschen
steigen ein. Nur er nicht. Er darf nicht mit, wird vom Busfahrer nicht
mitgenommen, weil er zu betrunken ist. Der Mann beschwert sich – beim Busfahrer,
bei anderen Menschen und dann bei sich. Aber der Bus fährt weg. Der Mann
lamentiert, aber niemand hört zu. Dann geht der Mann wankend weg. Fünf Minuten
später sehe ich ihn wieder; er hat sich ein Bier gekauft, welches er nun
trinkt.
Wer aber auf
Mallorca wohnen will, hat entweder schlechte Karten (geht also nicht) oder
viiieel Geld (alles geht). Selbst augenscheinliche Bruchbuden, die mit Mühe „Finca“
genannt werden könnten, werden für mehrere hunderttausend Euro angeboten. Ein
Häuschen am Meer? Nicht unter einer Million. Das ist wahrlich verrückt und eine
solch immense Immobilienblase, die über kurz oder lang platzen muss. Nach oben
gibt es keine Grenzen und geht nicht, gibt´s nicht. Es ist unfassbar, dieses „Sylt
des Südens“. Und auch nicht meine Welt.
An der Bushaltestelle werde ich von
einem hageren Deutschen angesprochen – ob ich auch nach Santanyi wolle. Als ich
dies bejahe, erzählt er mir, dass seine Freunde ihn gestern im Tran verloren
hätten und er deshalb am Ballermann festsäße. Auf meine Frage, ob er am Strand
geschlafen oder er sich ein Hotelzimmer genommen hätte, lacht er (mich aus?): „Hier
findest Du immer ein Bett…“ Benno Ketten: Ein verklemmter, nichtswissender
Spießer?
Meine Welt
war eher der Umstand, dass dank des Klimas auf dieser Insel vieles auf lange
Zeit erhalten bleibt: Bis zum Schluss zum Beispiel war ich immer wieder
begeistert, alte Autos zu sehen, die es bei uns kaum noch gibt: Einen „R4“ zum
Beispiel. Und nicht nur einen: Viele! Toll. Da kann jeder gesichtslose
Plastikbomber von heute und jeder lächerliche Ferrari einpacken – der R4: Ein
Auto von Format.
Ich sehe mir die überdachten Tempel
des deutschen Frohsinns an: „Mega-Park“ und „Bierkönig“: Im Mega-Park, der
wirklichwirklich sehr groß ist, tanzen im Laden verteilt schnieke Frauen in
Reizwäsche und mit roten Hörnern oder Cowboyhüten auf dem Kopf auf den Tischen. Die Damen
gehören zum Laden. Unten stehen und sitzen vollstramme Damen
und Herren, die lustig alkoholische Getränke konsumieren. Eine Tänzerin appelliert
anscheinend an die Säfte eines trunkenen Herren um die 30. Er versucht, den
Tisch zu erklimmen, um die Frau anzufassen oder zu stehlen, wird aber von einem
nichttrunkenen Sicherheitsmenschen daran gehindert. Der trunkene Mann sieht
daraufhin zerknirscht aus, weil er so gerne die Frau angefasst oder mitgenommen
hätte. Die Frau tut weiterhin so, als wenn ihr die Tanzerei Spaß machen würde;
sie lächelt und versucht, erotisch zu wirken. Manchmal kann man jedoch kurz
sehen, dass es ihr keinen Spaß macht; dann sieht man den einen oder anderen zerplatzten
Traum aus ihren Augen schweben. Das sieht das heitere Publikum jedoch nicht.
Doch ich sehe es. Die Frau tut mir leid.
Viel gäbe es
noch zu berichten, was während dieser zwei Wochen schön, angenehm und ergreifend war: Das Klima zum Beispiel oder
die freundlichen Menschen, die umwerfende Natur oder die beeindruckende und
abwechslungsreiche Landschaft. Gottseidank hat sich mein Vorurteil also nicht
bestätigt, dass ganz Mallorca ein einziger Ballermann ist.
Meine Ballermann-Beobachtungen
entstammen übrigens einem beliebigen Montag zwischen 12-16 Uhr. Ich kann nun
aber freimütig sagen, dass Mallorca nicht nur zwischen 12-16 Uhr erheblich mehr
zu bieten hat als Stumpfsinn, Suff und dicke Wampen. In diesem Sinne:
Hasta
pronto, Mallorca!
Ha! Einen auf schöner-Bremer-Sommer machen und in Wirklichkeit auf Mallorca in die Sonne kieken! Ketten, ich muss schon sagen... Und die Bürgerpark-Schweinchen waren wohl auch ausm Archiv?! Aber schön, dass Sie wieder da sind - falls Sie denn wieder da sind und nicht heimlich Ihre Zeilen weiterhin vom Strand aus schreiben. Ist ja heutzutage alles möglich. Feine Reiseeindrücke jedenfalls. Hach, Mallorca, zwei Seelen wohnen, ach...
AntwortenLöschenSchönste Grüße von Frau Seidel
Werte Frau Seidel,
AntwortenLöschenals ich die aparte Insel besuchte, war der Bremer Sommer doch schon so gut wie vorbei...und die Schweine waren NEU. Und neu oder wieder daheim bin ich und war ich zum Zeitpunkt des Geschreibsels bereits. Ach, Frau Seidel: Schön wars. Richtig: Schön. So viel Sonne ist für einen Nachtportier doch recht ungewohnt - ich rieche tatsächlich ein wenig angebrannt...
Herzliche Grüße aus dem Hotel Tahiti von
Benno Ketten