07.02.2016

Das Schwein im Autohaus

Es grunzt, es gackert, es bellt, es muht: Ich bin in Butjadingen und stehe vor dem Tor von Deutschlands einzigem Kuhaltersheim.

`Ein Kuhaltersheim? Was ist denn das?´, werden sich wohl jetzt einige Leserinnen und Leser fragen – und das angesichts der Einmaligkeit dieser Einrichtung auch nicht zu Unrecht. Auf „Hof Butenland“, wo sich das Kuhaltersheim befindet, finden von Menschenhand zerschundene, zerquälte, gedemütigte und ausgebeutete Tiere ein neues und friedliches Zuhause – bis zu ihrem Tod. Neben den bereits erwähnten Kühen haben auch Schweine, Pferde, Enten, Gänse, Hühner Hunde, Katzen und auch Kaninchen einen Platz auf dem Hof.
Schon nähern sich zwei Vierbeiner dem Tor: Ein kleiner Hund, der etwas wackelig auf den Beinen ist, und der momentane Star auf Hof Butenland: Rosa-Mariechen, ein junges, neugieriges Schweinchen. Hinter den possierlichen Tierchen geht ein Zweibeiner, ein Mensch, der uns das Tor öffnet und sich mit „Jan“ vorstellt. Jan ist auf diesem Hof, zu dem mehr als 30 Hektar Land gehören, groß geworden; allerdings hegt er keine Großgrundbesitzerallüren, vielmehr scheint es so, dass er die Ruhe weg hat. Und das bei der immensen Arbeit: Täglich wollen und müssen mehr als 170 Tiere versorgt werden – ein Kraftaufwand, den er alleine nicht stemmen könnte. Doch das muss er auch nicht: Zusammen mit seiner  Partnerin Karin, die ebenfalls wirkt, als ob sie nichts mehr erschüttern könnte, wird der Hof an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr verantwortungsbewusst betreut.


Während ich mit Jan ein wenig plaudere, nähert sich Rosa-Mariechen dem Futternapf, an dem sich gerade das Schwein Rudi zu schaffen macht. Das mag Rudi allerdings nicht, er grunzt und zeigt durch eine energische Bewegung seines großen Kopfes, wer gerade Chef am Napf ist, so dass das kleine Schwein erst einmal respektvoll auf Abstand bleibt. An sich völlig normal, wenn Rudi nicht ein wesentliches Handicap hätte: Er ist blind. „Rudi kommt aus einem Autohaus“, sagt Jan, und nachdem er meinen etwas ungläubigen Blick sieht, erzählt er die schlimme Geschichte des im wahrsten Sinne des Wortes armen Schweins: „Rudi war ein Geschenk zum Arbeitsjubiläum: 25 Jahre Verkäufer im Autohaus – da wünscht man doch Glück! Und mit einem damals noch kleinem `Glücks´-Schwein als Präsent war die `lustige´ Überraschung rundum gelungen. Rudi wurde dann in eine Ecke des Autohauses gepfercht, und da es ja heißt, dass Schweine neben Schweinefutter sowieso alles fressen, bekam es neben Schweinefutter eben auch alles zu fressen. Die Folge war, dass Rudi enorm anschwoll: Er wurde fett. So fett, dass sich das Fett in seinem Gesicht so dermaßen wölbte und stülpte, dass es in die Augen drückte und den armen Rudi erblinden ließ.“
Ein Schwein im Autohaus! Ich fasse es nicht. Auch die Geschichte von Rosa-Mariechen lädt nicht zur Freude ein. Das kleine und wirklich überaus niedliche Schwein lag in einer Mastanlage, erst ein paar Tage alt, herum. Im Dreck. Offensichtlich wurde es bereits aufgegeben, und das wussten wohl die Ratten auch, die begannen, es bei lebendigem Leibe anzufressen, bis Maden aus der Wunde quollen. Doch es wurde gerettet und lebt jetzt seit einigen Wochen auf dem Hof. Es ist verspielt, neugierig und frech – wie man sich so ein kleines Schweinchen eben vorstellt. Doch nach dieser Vorgeschichte ist es nicht mehr so richtig vorstellbar, dass Rosa-Mariechen so unbekümmert herumtollt.

Die Kühe auf der weitläufigen Weide stehen und liegen dem Anschein nach unbekümmert da. Hauptsächlich kommen diese Kühe aus der industriellen Milchwirtschaft: Dort wird auf eine Spitzenleistung der Milchproduzentinnen großen Wert gelegt – und wer diese Topergebnisse nicht mehr erbringen kann, wird ausgemustert. Geschlachtet. Gegessen.
Mehr als fünf Jahre hält solch ein Hochleistungsrind nicht durch, dann ist es regelrecht „verbraucht“: Verhärmt, krank, mit chronisch schmerzenden Gelenken, die ein längeres Stehen oftmals unmöglich machen, landen solche Kühe dann im Schlachthaus - oder im Kuhaltersheim. Wie traumatisiert erscheinen sie dann, und das kommt auch nicht von ungefähr: Kühe geben nur dann Milch, wenn sie ein Kalb geboren haben. Da in einem Milchbetrieb die Milch aber für den Menschen und nicht für das Kalb verwendet werden soll, wird das Neugeborene sofort nach der Geburt von der Mutter getrennt und mit Ersatzmilch aufgezogen. Ihre Mutter sehen sie nie wieder. Und wenn sie auch noch männlich sind, werden sie an Rindermäster verkauft und erleben ihr erstes Lebensjahr nicht. Die weiblichen Kälber hingegen werden, sobald es geht, Teil des milchproduzierenden Gewerbes.

Einsame Spitzenreiterin ist die grau-weiße Kuh „Gisela“: Gisela hat vierzehn Kinder zur Welt gebracht und alle vierzehn Kinder wurden ihr weggenommen. Dies und die Torturen der Milcherzeugung haben aus ihr ein Wrack gemacht. Das Stehen fällt ihr schwer, ihr Körper ist von der langwährenden Anstrengung chronisch erschöpft. Dennoch ist sie mittlerweile 19 Jahre alt und genießt ihre Zeit auf Hof Butenland in vollen Zügen. Genauso wie die anderen Kühe: Da ist zum Beispiel Manuela, die in einem Versuchslabor vier Jahre lang mit einem mehr als handtellergroßen Loch im Bauchraum leben musste. Nach mehrmaligen Operationen ist die Öffnung zwar fast geschlossen, dennoch läuft noch immer Pansensaft heraus. Oder Dolores, die sich gerade von einer „Not-OP“ ausruht: Obwohl, da sind die Anführungszeichen gänzlich unangebracht, schließlich hatte sie über 42° Celsius Fieber, das Folge einer akuten Mastitis war, einer  schmerzhaften Euterentzündung. Beim Öffnen des Euters kamen nicht nur mehrere Liter Eiter zum Vorschein, es floss auch eine Menge Blut, was Dolores zusätzlich schwächte.
Den vielen Kühen und den anderen Tieren wird auf Hof Butenland die Möglichkeit gegeben, angesichts auf ihres vergangenen Leidens ein würdiges und vielleicht sogar glückliches Leben zu führen.
Ein Besuch in einem real existierenden Supermarkt: Weite Gänge, riesige Einkaufswagen und Popsongs im Hintergrund, von denen man glaubte, sie längst schon vergessen zu haben. Ich bewege mich in Richtung der Fleischabteilung, die wahrhaft imposante Ausmaße annimmt und zusätzlich von SB-Theken ergänzt wird. Die Preise für die Produkte sind erschwinglich, der Andrang ist entsprechend. Ich nehme mir ein Anzeigenblatt des Marktes und erstelle eine Rechnung: Wenn ich alle Angebote der Fleischabteilung addiere und anschließend durch die Menge der Angebote teile, komme ich zu dem Ergebnis, dass ein Schwein mit einem Durchschnittsgewicht von 120 kg pro Kilo 5,32 Euro oder pro Tier im Supermarkt 638,80 Euro einbringt. Natürlich hält diese Rechnung einer seriösen empirischen Untersuchung nicht stand, sie soll jedoch ein wenig verdeutlichen, was uns ein Tier wert ist. Wofür das Tier lebt. Und wofür es stirbt.

Die Mastzeit eines Schweins beträgt fünf Monate. In dieser Zeit hat das Nutztier nur  eine Aufgabe: An Gewicht zuzulegen – egal wie. Daher wird es intensiv gefüttert – eben: gemästet-, von Stress ferngehalten, in dunklen und ruhigen Stallungen untergebracht, präventiv mit Antibiotika behandelt und überhaupt so behandelt, dass es mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Ertrag einbringt. Und der Erlös sinkt stetig, was die Mäster dazu zwingt, mehr und größere Betriebe zu errichten, um profitabel zu bleiben. Und das bedeutet auch, dass pro Betrieb mehr Tiere gehalten werden müssen – und das bedeutet qualvolle Enge, ständiger Lärm und ein nicht vorhandenes Sozialverhalten.
Nach meiner Rechnung ist ein ganzes Schwein im Supermarkt also für circa 640 Euro erhältlich, ein Suppenhuhn ist bereits für einen Preis von 1,99 Euro zu bekommen: Wenn ich bedenke, dass sowohl Züchter als auch Supermarkt von diesen Tieren profitiert haben, kann ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie diese Tiere gelebt und was sie gefressen haben.

Die Hofmolkerei Dehlwes in Lilienthal bei Bremen liegt idyllisch inmitten ausgedehnter Weiden. Vereinzelt grasen Kühe, ab und an fährt ein Auto langsam vorbei. Die Kühe gehören ebenfalls zur Molkerei, denn eigentlich ist sie beides: Molkerei UND Bauernhof. Bei meinem Rundgang über den Hof gehe ich zuerst durch die Stallungen, die junge Kälber und trächtige Mutterkühe beherbergen. `Wie sehen eigentlich unglückliche Kühe aus?´, denkt der Stadtmensch in mir – ich kann jedoch nicht behaupten, dass sie so aussehen wie die, die gerade vor mir stehen: Neugierig kommen sämtliche Kühe, Groß und Klein, angelaufen,  mustern und beschnuppern mich. Der gerade mit Ausmisten beschäftigte Angestellte erzählt mir, dass der Hof 240 Kühe hat. Bis eine Kuh die geforderte Milchleistung nicht mehr bringen kann, vergehen im Schnitt 6-7 Jahre – dann wird sie geschlachtet.
Hinter dem kleinen Stall findet die Verarbeitung der Milch statt: Sowohl frische Vollmilch als auch Schlagsahne, Joghurt oder Schmand werden hier produziert. Die Milch für diese Produkte liefern „Öko-Kühe“: Seit 1999 ist der Betrieb auf Bio umgestellt.

Elke Dehlwes, Geschäftsführerin der Hofmolkerei Dehlwes, erzählt mir, dass die Tierarztkosten seit der Bio-Umstellung um nahezu 50 % zurückgegangen sind – „Wie beim Menschen auch: Wer zufrieden ist, wird seltener krank.“ Auch das Fleisch ist seit der Umstellung hochwertiger geworden; zwar wird weniger Fleisch verkauft als vorher, da die Tiere langsamer wachsen, dafür ist es aber auch hochpreisiger: „Für ein durchschnittliches Kilo Rindfleisch bezahlt der Kunde bei uns ca. 18 Euro, für Filets oder Steaks auch schon einmal 40, 50 Euro – doch die Qualität des Fleischs rechtfertigt diesen Preis.“ Und auch die Frischmilch ist bei Dehlwes nicht zum Schleuderpreis zu haben – die preiswerteste Milch im Supermarkt kostet 51 Cent, die Milch von der Hofmolkerei zwischen 1,09 und 1,19 Euro. Dafür hat der Verbraucher nicht nur gesunde Milch im Glas, auch die Molkerei erhält ihren Teil – pro Liter 42 Cent. Davon kann der konventionelle Landwirt nur träumen, der mit 28 Cent kaum seine Kosten decken kann.
Auf dem Rückweg fällt mir dann noch ein am Wegesrand liegender Bauernhof im Bremer Blockland auf. Neben der Haltung von Haltung von Hühnern haben hier anscheinend Pferde einen hohen Stellenwert. Leider habe ich einen immensen Respekt vor diesen riesigen Tieren – da bleibe ich doch lieber bei den Hühnern. Auch hier scheint es den Tieren nicht schlecht zu ergehen, jedenfalls sehe ich nirgendwo irgendwelche zerfledderten Vögel, wie sie anscheinend bei der Massenhuhnhaltung üblich zu sein scheinen: Die Hühner scharren, picken und laufen frei herum. Und dazwischen der Hahn – ganz Hahn. Auf meine Frage, wie mehr als ein Huhn auf einer Fläche von weniger als einem DIN-A4-Blatt leben kann, wie es in der Massentierhaltung gesetzlich festgelegt ist, zuckt die freundliche Bäuerin nur ratlos mit den Schultern: Sie weiß es nicht. Und ich auch nicht.
Nach dem Besuch der drei relativ unterschiedlichen Betriebe stehe ich zwar um einige Erfahrungen reicher, aber immer noch recht ratlos da. Auf Hof Butenland hat man sich entschlossen, den tierischen Produkten Lebewohl zu sagen – und es funktioniert. Die Hofmolkerei Dehlwes hingegen setzt auf biologisch nachhaltige Landwirtschaft, ermöglicht den Kühen ein zufriedenes Leben und setzt darauf, dass die Menschen wieder zu einem Fleischkonsum zurückkehren, wie er früher üblich war; Frau Dehlwes sagt, „dass der traditionelle Sonntagsbraten wieder Einzug halten und Fleisch wieder etwas Besonderes werden sollte“. Der Blocklander Bauernhof setzt auf Reitvergnügen und glückliche Hühner. Und auch diese Modelle funktionieren.

Es liegt wohl an dem Einzelnen, wie er sich in Zukunft bewusster ernährt. Ob er auch beim nächsten Mal im Supermarkt die Fleischabteilung aufsucht.  Ob er sich vegan, vegetarisch oder verantwortungsbewusst seltener, aber dafür qualitativ hochwertiger, von Fleisch ernährt. Die Entscheidung liegt beim Käufer. Beim Konsumenten.

Bei Dir.

26.02.2013

Sauer ja - aber lustig?

Als ich jüngst eine schmackhafte Suppe zubereiten wollte, geschah mir doch tatsächlich...aber ach; lest doch selbst:


"Sehr geehrte Damen und Herren,

am 25.05.2013 erwarb ich im Netto-Markt Vor dem Steintor 114 in Bremen das Dosen-Produkt "Beste Ernte - Junge Erbsen mit Möhrchen/sehr fein". Bereits beim Öffnen der Dose entströmte ihr jedoch ein säuerlicher Geruch, dem ich allerdings zuerst keinen Glauben schenkte - war das Produkt doch  mit dem MHD "31.12.2016" ausgezeichnet. Ich gab das eingedoste Gemüse folglich als finale Zutat in meine Suppe, vertrauend darauf, dass diese Konserve das Werk in einem einwandfreien Zustand verlassen hat.

Doch mein Vertrauen wurde leider enttäuscht. Nachdem ich die fertige Suppe vor dem Verzehr noch einmal verköstigte, musste ich feststellen, dass nun die gesamte Suppe sauer war - ich musste  sie komplett entsorgen.

Nun kann man behaupten, meine Geschmacksnerven wären nicht ganz in Ordnung, doch dieses Argument ist dadurch zu entkräften, dass ich zwei Dosen des genannten Produkts verwendet habe - die zweite Dose war jedoch einwandfrei.

ich möchte also auf diesem Wege darauf hinweisen, dass Ihr Konservenprodukt "Beste Ernte - Junge Erbsen mit Möhrchen/sehr fein" zwar fein, aber keinesfalls frisch war. Zwar wurde dieser Umstand auf der Verpackung nicht explizit betont, ich ging jedoch bei einem MHD bis Ende 2016 davon aus, gesundheitlich unbedenkliche Ware zu erhalten.

Ich empfehle Ihnen daher, Ihre Autoklaven eingehend zu überprüfen oder aber die Beschriftung der Konserven dahingehend zu ändern, dass der Zusatz "Kann verdorbene Ware enthalten" auf der Verpackung zu lesen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Benno Ketten"

11.10.2012

Ars vivendi im Kontext des Privaten



Unbekümmertes Traditionsbewusstsein des Hier trifft auf provokative Ansichten des Materiellen im Jetzt: Kunst im Haus. 
Davon kündet auch der vorab erschienene Ausstellungskatalog „Topflappen-Hits“, der nicht nur den schwierigen Spagat zwischen fundierter Grundsätzlichkeit, sondern auch den verheißungsvollen Aufbruch in neue, dissonante Sphären dokumentieren möchte. So wartet bereits der der Titel mit der schon jetzt kontrovers diskutierten Ankündigung „Neue Ideen“ auf: Gezielter Affront oder modernes Selbstbewusstsein? Im Nachsatz dann folgerichtig auch „Häkeln & Stricken im Trend für die Küche“: wird hier –spätestens seit Beuys- endgültig ein neuer Versuch zur generellen Implementierung hochdemonstrativer Kunst im semiprivaten So-Sein gewagt? Ein spannender, wenn auch kontroverser Vorstoß. Zeigt doch bereits die Abbildung des 1995 von Edda Runken kreierten Werks „2 Frösche im privatpolitischen Raum“ dem kritischen Betrachter förmlich die lange Zunge. Daneben –plakativ und doch wirkungsvoll- Vincente Brettberts „Schneebesen Nr. 7“, der quasi per definitionem den herrschenden Kunstbetrieb als affektierte Schaumschlägerei entlarven möchte. Hiervon kündet auch die Installation „Profanes Esswerkzeug auf gelbgerandetem Teller (Metall auf Keramik)“ von Sigurna Nepf; das Milieu des scheinbar gelassenen Bonvivants: abgeschmackt und abgefrühstückt? Hoffnung jedoch signalisiert das Werk des Griechen Atanatius Stalagnotopulos: Sein „Bunter Salat in einfacher Schale“ signalisiert belebende Frische im oftmals agoniden Kunstbetrieb gelangweilter Bohêmiens.
Fazit: Auch auf längere Sicht wird der öffentliche Diskurs die spekulative Art privée bestimmen. Wird diese vorweggenommene Inthronisierung gesellschaftlicher Normenkunst als strukturelle Sein-Bereicherung oder aber als unbedingte Verneinung postgesellschaftlicher Normenrealitäten wahrgenommen werden? Dies ist die kunstpolitische Rahmenkontroverse des kommenden Jahrzehnts.