09.01.2012

Im Schlaflabor

Ich schnarche. Sehr sogar. Und das schon, so lange ich denken kann. Das bringt natürlich einige Schwierigkeiten mit sich, für mich und vor allem für die werten Mitmenschen. Zu Jugendzeiten beispielsweise kam es vor, dass ich mit einer Jugendgruppe in einer Turnhalle nächtigen musste. Am nächsten Morgen war ich alleine in der Halle, während sich der Rest auf die Umkleideräume und Flure verteilte. In Zeltlagern habe ich alle Menschen im Umkreis von 50 Metern vom Schlafen abgehalten: Morgens dann hörte ich aus den Zelten „Ey Mann, was war DAS DENN heute Nacht?“ oder wenn mich jemand als Störenfried identifizierte „Alter: Geh zum Arzt. Du musst zum Arzt gehen!“
Was ich dann auch tat – über zwanzig Jahre später. Nachdem ich dann ein mobiles Schnarchmessgerät nächtens nutzen musste, sagte der Arzt „Oh“ und „Schlaflabor“, da neben der ganzen Schnarcherei auch noch diverse Atemaussetzer aufgezeichnet wurden – also: Schlaflabor.
Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit fuhr ich diesmal nicht mit dem Fahrrad, sondern mit der Straßenbahn: Denn das Schlaflabor liegt in einem Stadtteil von Bremen, der offenbar mehrheitlich sogenannte „sozial benachteiligte Mitbürger“ beherbergt: Gröpelingen. Ist das nicht diskriminierend? Dazu folgende Geschichte: Vor ein paar Jahren half ich einem Kollegen beim Umzug nach eben – Gröpelingen. Und wie es so war, fuhr ich natürlich mit dem Rad dorthin. Während ich mein Fahrrad so vor dem Haus abschloss, schauten mir die anderen Helfer, die bereits eingetroffen waren, interessiert zu, bis einer fragte: „Was machst Du da eigentlich?“, worauf ich antwortete „Ich schließe mein Fahrrad ab“; diese Antwort ließ allgemeine Heiterkeit aufkommen, bis mir jemand erklärte:  „Wenn Du das hier abschließt, werden innerhalb kürzester Zeit alle Teile an Deinem Fahrrad, die nicht angeschlossen sind, weg sein“: Hm. Also stellte ich es in den Keller, vorbei an den sämtlich zerbombten und aufgebrochenen Briefkästen, hinein in das Haus, das sechs Parteien beherbergen kann, jedoch nur drei Wohnwillige überzeugen konnte, dort zu wohnen. Ich weiß, es gibt natürlich auch gemäßigte Ecken in Gröpelingen, aber so zumindest war das mit dem Rad.
Jedenfalls fuhr ich mit der Straßenbahn. Kurz nach der Innenstadt stieg dann eine junge Familie zu: Vater, Mutter, so um die dreißig Jahre alt; zwei Kinder, nett, ein wenig aufgeregt, wie Kinder nun mal so sind. Nachdem die Mutter ein paar Minuten freundlich mit den Kindern plauderte, schaltete sich der Vater in das Gespräch ein: und der war vollkommen betrunken – eine reife Leistung für 19.00 Uhr. Na ja, der Rest der Unterhaltung war so, wie man sich das so denkt: Sinnfreier Käse. Auf die Frage der Kinder, ob der Papi noch mit nach Hause käme, antwortete der Papi „Nnein, dasss geht nich, ich muss ja gleich noch ahbeiten“: Tja. Eine Bitte an Väter und solche, die es werden wollen: Erspart euren Kindern den Anblick ihres besoffenen Vaters: Das ist rich-tig Scheiße.
Im Schlaflabor dann das, was man erwartet: Ein Bett. Ein Schrank. Kabel und Geräte. Eine Kamera. Eine Kamera? Richtig: Eine Kamera. Man wird nämlich während des Schlafens gefilmt: Das war schon komisch; komisch im Sinne von seltsam. Nun, der Patient wird dann  mit Geräten verbunden, verkabelt, verklebt, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Liegeposition (rechts-links-rücklings). Und so schlief ich dann. Irgendwann.
Und morgens wurde ich um 6.00 Uhr geweckt und abgekabelt. Ja, das war es schon. Recht unspektakulär. Ich duschte, genoss ein Frühstück, und da der Arzt noch ein bis zwei Stunden auf sich warten lassen wollte, dachte ich: `Da kaufe ich mir doch mal eine schöne Zeitung: Die Süddeutsche.´ In der Nähe des Labors gab es auch einen Kiosk, da ging ich also hin, beflügelt von dem Wunsch, eine Süddeutsche zu kaufen.
Doch die gab es mangels Nachfrage nicht. Und auch keine Zeit und auch keine FAZ und auch keine taz. Und den Spiegel gab es auch nicht und noch nicht mal den doofen Focus gab es; aber den hätte ich mir auch nicht gekauft, denn SO verzweifelt war ich nun doch nicht. Hingegen gab es BILD, die Morgenpost, das lokale Käseblatt und zwei türkische Zeitungen, was mir aber nicht half, denn ich kann kein türkisch. Und an Magazinen gab es nur Blätter für die mode- und klatschinteressierte Dame und Hefte für den busen- und popointeressierten Mann: Also gut, einmal das lokale Käseblatt, bitte und äh...das hier noch...ähem.
Kurz und gut: Der Arzt sagte dann, dass ich um ein spezielles Beatmungsgerät noch einmal herumkommen würde, jedoch in den Federn fortan zum Quasimodo werden müsste: Ein Tier im Bett und doch hässlich wie die Nacht äh; nein. Aber der werte Herr Arzt riet mir dann zu einem künstlichen Buckel, der ein Drehen auf den Rücken ein-für-al-le-mal verhindern soll, denn Atmung gäbe es für mich nur auf der Seite, aber nicht auf dem Rücken. Und diesen Tipp fand ich dann richtig gut, denn wenn ich ehrlich bin, atme ich ganz gerne.
Und dann fuhr ich nach Hause, beseelt vom emsigen Streben, Besitzer zu werden: Stolzer Besitzer eines eigenen
BUCKELS.
Kann das Leben NOCH schöner werden?

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