29.09.2011

Von Kriegen und Schlachthöfen

Es gibt Orte, die auf ewig mit einem fürchterlichen Geschehen verbunden sind: Wenn wir zum Beispiel My Lai hören, denken wir sofort an das Massaker durchgeknallter Soldaten an unbewaffneten Zivilisten.

Bei Utøya denken wir nicht an eine wunderschöne Insel in Norwegen, wo junge Menschen sorglos zelten, sondern an Kinder, die panische Angst haben, weil sie sterben werden und Eltern, die für immer mit ihrem unvorstellbaren Schmerz und ihrer Qual und ihrer Trauer leben müssen; und wir haben deshalb Tränen in den Augen und vielleicht weinen wir auch.

Ein anderer Ort, der sowohl im In- als auch im Ausland zu einem Synonym der Unmenschlichkeit geworden ist, ist Dresden. Die hier im Februar 1945 gefallenen Bomben hatten keinerlei militärischen Wert mehr, nur den, dass die Alliierten dem NS-Regime noch einmal richtig zeigen wollten, wo der Hammer hängt. Das Resultat war eine nahezu komplett zerstörte Stadt, zigtausende Tote und hunderttausende Menschen, die auf ewig traumatisiert wurden.

Und hier komme ich nun auf mein eigentliches Thema zu sprechen: Dem Roman „Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug“ von Kurt Vonnegut. Kurt Vonnegut musste als Kriegsgefangener die Bombennächte in Dresden miterleben: Dieser Umstand und seine vielen schlimmen Erlebnisse in diesem Krieg haben ihn nachhaltig verstört, traumatisiert und geprägt.


Verarbeitet –wenn man überhaupt in der Lage sein kann, solch ein Szenario jemals komplett zu verarbeiten- hat er diese Erlebnisse in seinem Roman „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ aus dem Jahre 1969. Ein seltsamer Name, was? Der Hauptprotagonist des Romans heißt Billy Pilgrim. Sowohl Kurt Vonnegut als auch die Romanfigur Billy wurden während der Bombenangriffe in einem Schlachthof in Dresden interniert. Und „Der Kinderkreuzzug“? Tja; wie alt sind Soldaten? 18 Jahre? 25 Jahre? So ungefähr, denke ich und Herr Vonnegut dachte das auch. Jedenfalls ist die Zeitspanne zwischen dem kleinen Jungen, der im Schlafanzug „Wetten, dass…“ schaut und dem größeren Jungen, der mit einem Schießgewehr durch den Schlamm robbt, nicht allzu groß.

Der erste Satz der eigentlichen Geschichte lautet:
„Hört: Billy Pilgrim hat sich von der Zeit losgelöst.“ Das hat er tatsächlich, und er kann es nicht beeinflussen. Er befindet sich im Krieg hinter feindlichen Linien, dann steht er im Zug, um ins Kriegsgefangenenlager zu fahren, dann ist er im Jahre 1968, wo er Optiker in einem kleinen Nest in den USA ist. Und er wurde von Außerirdischen entführt, mittels einer fliegenden Untertasse, um zum Planeten Tralfamadore zu fliegen. Dort lebt Billy unter einer Art riesigen Käseglocke, beobachtet von den Tralfamadorianern: Ein tolles Spektakel, dieser Menschenzoo. Später bekommt Billy Gesellschaft, eine Frau, ein Filmstar, auf dass sie sich paaren sollen: Was sie dann auch tun. Da ist im Zoo auf den Rängen der Teufel los.

Auf Tralfamadore herrscht ein anderer Zeitbegriff: Alle Augenblicke sind immer da, waren und werden immer sein. Deshalb ist es, wenn diese Auffassung von Zeit angenommen wird, auch völlig unsinnig, gegen Krieg zu sein: Denn auch der Krieg war, ist und wird immer sein, nur in einem anderen Augenblick. Sehr verwirrend und auch ein wenig zu hoch für mich, gebe ich zu. Billy Pilgrim jedoch hat sich mit diesem Umstand arrangiert, dass die Zeit für ihn nicht linear verläuft.


Auf Tralfamadore sagt man „So geht das“, wenn man eine Leiche sieht oder mit dem Tod konfrontiert wird: Denn der Tote ist zwar in diesem Augenblick ziemlich schlecht dran, in einem anderen Augenblick jedoch ziemlich guter Dinge. „So geht das“ zieht sich also durch das ganze Buch, was ja auch nicht verwunderlich ist, wenn hauptsächlich über Tod, Krieg und Verderben die Rede ist. So geht das.

Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf den genauen Inhalt eingehen; es lohnt sich, dieses Buch für sich selbst zu erleben.

Was ich jedoch hervorheben möchte, ist der Umstand, dass trotz der ganzen Zeitreiserei das Buch eine einzige Ablehnung gegen Krieg und Gewalt ist; der Leser merkt während der gesamten Lektüre, dass Kurt Vonnegut dabei war und nun der Welt bescheinigen möchte: Krieg ist nicht nur abartig, sondern auch völlig bekloppt. Krieg nimmt Leben und nimmt Würde, darüber hinaus ist er aber auch lächerlich und trotz der Grausamkeiten in höchstem Maße albern. Sehen wir uns das Kriegsgeschehen an sich doch mal an: Hat es die Menschheit denn irgendwie weitergebracht? Oder geht es den Menschen einfach nur anders schlecht?


Kurt Vonnegut jedenfalls hat aus dem Krieg und aus seinem Leben Schlüsse gezogen; beispielsweise ist er Humanist geworden: Araber, Amerikaner, Türke, Kurde, Deutscher, Jude, Christ, Moslem: Was zählt?: Der Mensch; der zählt, und nur der.
Wer sich also in die Lektüre vertiefen möchte:

Kurt Vonnegut, Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug, Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg.

Und es kann ja sein, dass der ein oder andere geneigte Leser mehr aus der Gedankenwelt Kurt Vonneguts erfahren möchte; dann sollte er dieses Buch mit verschiedenen gesellschaftskritischen Aufsätzen lesen:

Kurt Vonnegut, Mann ohne Land. Erinnerungen eines Ertrinkenden, übersetzt von Harry Rowohlt, Piper Verlag München, 2007.

Überflüssig zu erwähnen, dass Kurt Vonnegut ein vehementer Gegner der Bush-Administration war. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, den politischen Wechsel in seinem Land zu erleben, vielmehr starb er 2007 an den Folgen eines häuslichen Unfalls: Er fiel die Treppe herunter.

So geht das.

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